IRENE BISANG
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GLÜCK UND GLAS
 
„Als ich anfing zu malen, dachte ich mir, wenn du unbedingt malen willst, wird dir schon einfallen, was das sein könnte!“ Dieser Ausspruch der Malerin Irene Bisang legt den Gedanken nahe, dass hier jemand auf Teufel komm raus Bilder produziert, ohne recht zu wissen, warum und woher. Hielte ich mich in einer Aufzählung am Bildgegenstand fest, so käme ich denn auch auf eine Sammlung augenscheinlich heterogener Sujets: es finden sich Orangenschnitze, welke Blätter auf einer Laptoptastatur oder ein Wecker, dessen leeres Ziffernblatt von Ameisen bekrabbelt wird, dazu Vögel und bewaffnete Schneemänner, die Künstlerin am Tisch, eingeschlafen über einem sauren Gürkchen, trocknende Wäsche auf einem Balkon, eine Straße eines Flüchtlingszeltlagers, Kinderszenen und Kleckse oder Flecken, die durch ein paar Farbtupfer zu streitenden Menschen, Gespenstern, lumpigen Clowns oder traurigen Außerirdischen werden. Irene Bisangs Bildproduktion ist in der Tat motivisch mäandernd, äußerst einfallsreich und beim besten Willen nicht zu einer fassbaren Thematik einzudämmen. Sie zeigt eine Art halluzinogenen Bilderbogen der Jetztzeit, in dem die Sonne breit vom Himmel lacht, das Böse bunt ist und in dem die Glücksfee mit entschlossenem Blick das Sparschwein schlachtet, in dem mythischen Wesen auf Versatzstücke von Pop- und Alltagskultur treffen und in dem das alltägliche Geschick oder Missgeschick auf irritierende Weise mit den Pech- und Glückssträhnen von Märchenerzählungen verwandt zu sein scheint. Dieser ebenso eigenartige wie eigenwillige Kosmos speist sich aus unterschiedlichen Quellen: So könnte die „Frau mit weißem Tattoo“ einerseits einer mit der Fotokamera festgehaltenen präzisen Alltagsbeobachtung entstammen; andererseits verdient diese Figur, herausgelöst aus ihrem Umfeld und mit delikater Pinselführung getuscht, mindestens das Prädikat „merkwürdig“, um nicht zu sagen „sonderbar“. Jeglicher Bezüge entledigt wird die Titel gebende weiße Tätowierung gleichsam zum Zeichen eines Außergewöhnlichen, das seine Verankerung nur noch im Bisangschen Kosmos findet. Und all diese heterogenen Motive verstehen sich unter der Hand der Malerin prächtig; was aber ist es, was diesen Reigen zusammenhält?

Irene Bisang zeichnet, aquarelliert und malt auf kleinen Formaten: mal sind es Bögen holzigen Schreibpapiers mit vergilbten Rändern, mal kleine Leinwände, Malpappen oder Hartfaserplatten. Die Wahl dieser Untergründe ist keine beliebige und nicht durch den dringenden Zugriff auf irgendein zur Bildfläche zu nutzendes Material begründet, um möglichst rasch und ungefiltert einen Einfall zu Papier, aufs Bild, „zur Welt“ zu bringen, sondern geht vielmehr mit Bedacht und intuitiver Sicherheit in Einklang mit Motiv und Technik einher. Wenn Irene Bisang also manches Motiv mehrfach umsetzt und dabei Maltechnik und Untergründe verändert, so bleibt das Motiv selbst redend nicht unberührt davon: zwei Köpfe im intimen Zwiegespräch, in der Zeichnung eher punktgenau als Schattenriss umgesetzt („Flüstern“), bekommen in der gemalten Version einen Umraum in der Bildfläche, der – anders als auf dem Papier – nicht unbearbeitet bleibt und die Figuren farblich und somit auch atmosphärisch einbettet. So ist die Wiederholung des Motivs keine einfache Variation, sondern eine Übertragung, die geeignet ist, Unterschiede zwischen Maltechniken, Pinsel- und Linienführungen und Farbverwendungen in ihren Auswirkungen auf das im Bild Gezeigte deutlich zu machen. Jedes der Bilder ist so Ergebnis eines langen Arbeitsprozesses, durchläuft mehrere Stadien und ist von einer rasch hingeworfenen Skizze so weit entfernt, wie es nur sein kann – selbst wenn, wie zum Beispiel bei den Fleckenbildern der erste Eindruck der eines glücklichen Zufalles ist. Dass dieser Zufall konzentriert herbeigeführt und kontrolliert wird, ohne dass dies im Vordergrund steht, zeugt von der technischen Virtuosität der Künstlerin.

Sieht man sich nun einer größeren Ansammlung ihrer Bilder gegenüber, so ergibt sich dennoch ein unwiderlegbarer Eindruck von Zusammengehörigkeit. Das mag an dem harmonischen Farbklang und den nie ins Extreme ausreißenden Formaten liegen. Zugleich verfestigt sich jedoch der Eindruck, dass man es mit einer Bildproduktion zu tun hat, die zwar aus allen möglichen Quellen schöpft, doch diese ver- und durcharbeitet, bis sie zur Gänze aufgesogen, ihrer Herkunft beraubt und dem Eigenen anverwandelt sind. So finden sich dokumentarische, dem Alltag der Künstlerin entstammende Motive neben surrealen und märchenhaften Motiven und manches Mal treffen sich beide Welten auf der Bildfläche. Das Heterogene dieser Bildwelt zeigt sich im Blick der Malerin als Ausdruck mehrdeutiger, sich überschneidender Realitäten und nicht nur der Junge vor dem Spiegel („Spiegel“) führt die Betrachter auf die Spur in Richtung einer Spaltung oder Doppelung – so als wäre die primäre Wahrnehmung der Welt unvollständig ohne ihr literarisches, bildliches, traumhaftes Pendant. Diese Spiegelung, die eine Öffnung ins Ungefähre darstellt, muss jedoch nicht im Bildraum stattfinden, um präsent zu sein; vielmehr versteht es Irene Bisang, in ihren Bildern die Darstellung von externer oder interner Realität als Ergebnis einer Diskrepanz zwischen diesen beiden Polen traumwandlerisch zu verbildlichen. Es gilt, diese Diskrepanz sowohl in der Bilderstellung als auch in der Betrachtung zu akzeptieren, zu zeigen und vielleicht sogar zu überbrücken – und das erfordert ein gewisses Maß an Einfühlung ins Motiv. Diese Thematik verbindet eine ganze Gruppe von Bildern, zu denen auch das „Worpsweder Mädchen“ gehört, ein Aquarell, dessen Bildgegenstand die Mädchenfigur eines Bildes der Malerin Paula Modersohn-Becker ist. Das Mädchen, dessen Profil deutlich von inzestuöser Degeneration gezeichnet scheint, wurde von Modersohn-Becker mit schonungsloser Offenheit portraitiert, was Irene Bisang nach eigenen Worten „irgendwann leid tat“. Ihre Reaktion war eine intensive Auseinandersetzung mit dem Bild des Mädchens, das jetzt, als aquarelliertes Miniaturportrait in scharlachroten Farbfeldern eingebettet, seltsam in sich zu ruhen scheint. In einer anderen Version des Motivs hat sich die Malerin selbst mit dem Worpsweder Mädchen an einen Tisch gesetzt: beide Figuren stammen erkennbar aus verschiedenen Welten und treffen sich für die Dauer einer Séance im Bildraum, wodurch das Bild in der Verschränkung von Bildgegenstand und Darstellungsweise sowohl Ausdruck als auch Abbild dieser intensiven Einfühlung wird und somit meilenweit entfernt ist von einer strebsamen Auseinandersetzung mit einem Vorbild zu Studienzwecken. Diese konzentrierte Versunkenheit fördert hier wie auch bei allen anderen Arbeiten Irene Bisangs eine Bilderwelt zutage, in der das Grobe, Banale mit der gleichen Zuneigung behandelt und sorgsam aufs Blatt gesetzt wird, wie das Lächerliche, das Zarte und Zerbrechliche, und die irgendwo zwischen Willhelm Busch, spitzwegscher Beschaulichkeit und der lakonischen Poesie von Francis Alys anzusiedeln ist - keine Fenster zur Welt, sondern bunte Spiegel (innerer) Bilder, die, Glassplittern im Uferschlamm ähnlich, aufblitzen, sobald sie wie durch Zufall von der Sonne getroffen werden.

Tina Schulz 2007